Elektronische Zahlungen und speziell das Thema Mobile Payment sind auf dem Vormarsch. Die Menschen suchen spätestens seit Beginn der Corona-Pandemie vermehrt nach berührungslosen Bezahlalternativen. Laut einer Befragung des Marktforschungsinstituts POS Pulse und des EHI präferieren seit der Pandemie 42 Prozent der Befragten die klassische Kartenzahlung, weitere 31 Prozent nutzen das kontaktlose Bezahlen und rund acht Prozent die mobilen Zahlungsvarianten. Ein großer Erfolg für die Finanztechnologie-Branche. Der Fall Wirecard ist aber für die gesamte Branche gleichzeitig auch ein Weckruf aus mehreren Blickwinkeln. Christian Pirkner, Gründer und CEO der Blue Code International AG, welche die paneuropäische Mobile-Payment-Lösung Bluecode für Banken, Handel und Endkunden betreibt, spricht über mögliche Folgen.
Christian Pirkner, Gründer und CEO der Blue Code International AG
Aufgrund drohender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung hat Wirecard am zuständigen Amtsgericht in München einen Insolvenzantrag gestellt. Nach dem Aufwind durch die Corona-Pandemie trifft dieser Skandal die Branche besonders hart. Ein wirtschaftliches Desaster, das nicht nur hohe Wellen, sondern auch weitere Folgen nach sich zieht, vor allem für Finanztechnologie-Unternehmen, die mit Wirecard zusammenarbeiten. Denn sowohl rechtlich als auch technisch ist für diese FinTechs ein Wechsel zu einem Partner nicht so schnell möglich, speziell auch in den Fällen, in denen Wirecard Kontolösungen und Karten als sogenannter Issuer anbietet.
FinTechs kann es im Gegensatz zu Händlern hart treffen
Das größte Problem ist, dass die Endkunden der FinTechs in vielen Fällen auch die Kunden der Wirecard sind. In der Regel wurden die KYC-Prozesse, also die Legitimationsprüfung von Neukunden, über die Wirecard abgewickelt und nicht mit den jeweiligen FinTechs. Wenn FinTechs jetzt vom Wirecard-Ökosystem in das System eines Wirecard-Mitbewerbers wechseln wollen, müssen sie rechtlich gesehen die Kunden vermutlich neu onboarden. Das kann für die FinTechs katastrophal sein, da sie Kundschaft verlieren und zusätzlich Geld ausgeben müssen, um am Ende die gleiche Funktionalität zu haben. Auch mögliche Ausfälle von Wirecard-Systemen oder das Einfrieren von Lizenzen kann FinTechs hart treffen, sodass sie nicht in der Lage sind, ihre Dienstleistungen gegenüber den eigenen Kunden zu erbringen.
Auf Händlerseite sind die Folgen erstmal noch gering. Ich gehe davon aus, dass es im Payment-Sektor keine unmittelbaren Zahlungsausfälle geben wird. Wenn Kunden in Online-Shops oder auch Geschäften, die von Wirecard betreut werden, ihre Kreditkarte verwenden, dann kommt ja das Geld von deren Konten und der jeweiligen Issuing-Bank über die Kanäle des Kartennetzwerks zu Wirecard, die in dem Fall die Händlerbank ist. Die hat wiederum eine Zahlungsverpflichtung an den jeweiligen Händler. Somit handelt es sich um Kundengelder, die vor der Autorisierung dem Kunden gehören und danach dem Händler – also nie der Wirecard selbst, da dieser Kreislauf in der Regel geschützt ist.
Die Karten werden neu gemischt
Es wird in den nächsten Tagen und Wochen mit Sicherheit viel zu tun geben. Die Mitbewerber von Wirecard werden jetzt ihren vertrieblichen Fokus auf dieses Thema lenken, um potenziellen Kunden, und von denen gibt es derzeit einige am Markt, adäquate Angebote zu legen. Ich gehe davon aus, dass dies sehr schnell erfolgen wird, da der Markt sehr kompetitiv und effizient ist und ja auch schon über eine mögliche Übernahme von Wirecard gemunkelt wird.
Zudem bin ich mir sicher, dass FinTechs künftig noch bewusster ihre Entscheidung abwägen müssen, mit welchem Anbieter sie zusammenarbeiten. FinTechs aber auch Investoren werden sich in Zukunft nicht mehr nur auf Aspekte wie Product-Market Fit und das Pricing fokussieren, sondern vermehrt genau analysieren, mit welchem Anbieter das jeweilige FinTech zusammenarbeitet. Damit wird es als indirekte Auswirkung diesbezüglich auch in der Venture-Capital-Branche einen großen “Wake-Up-Call” geben.