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Machen Nachtschichten depressiv?

Häufige Nachtschichten wirken sich bekanntlich vielfach negativ auf unsere Gesundheit aus. Doch können sie auch einen Burnout oder eine Depression hervorrufen? Wir fragten nach bei einem Experten.

Rund 30 Prozent aller Beschäftigten arbeiten hierzulande in der Nacht – und riskieren damit auf Dauer ihre Gesundheit: Diabetes, Magen-, Darm- sowie Herz- und Kreislaufprobleme sind nur einige der vermehrt auftretenden Beschwerden. Bereits 2007 stufte das Internationale WHO-Krebsforschungszentrum nächtlichen Schichtdienst zudem als wahrscheinlich krebserregend ein.

Weitaus weniger erforscht sind bis heute mögliche Folgen für unsere psychische Verfassung. Doch als relativ sicher gilt bei Experten, dass ständige oder häufige Nachtarbeit das Risiko einer Depressionserkrankung erhöht. „Wissenschaftlich wurde dies bis heute zwar nicht eindeutig nachgewiesen, aber verschiedene Untersuchungen weisen darauf hin“, erklärt Dr. Andreas Hagemann, Ärztlicher Direktor der Röher Parkklinik in Eschweiler bei Aachen.

Nachtschichten verschieben den biologischen Rhythmus

Doch weshalb ist es so schädlich seiner Arbeit nachts nachzugehen? „Nachtschichten verschieben den biologischen Rhythmus“, bringt es Dr. Hagemann auf den Punkt. Das heißt: Die Betroffenen arbeiten und schlafen entgegen dem natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus. „Dadurch werden sie in der Regel physisch und psychisch erheblich beansprucht – etwa wie bei Flügen durch verschiedene Zeitzonen“, erklärt der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. „Zudem ist es für Nachtarbeiter deutlich schwieriger bis unmöglich, sich ein soziales Netz außerhalb der Arbeit aufzubauen.“ Habe ich frei, müssen andere arbeiten - und anders herum“, Regelmäßige Termine können nicht eingehalten werden.

Der Gesundheit wenig zuträglich ist darüber hinaus, dass Nachtarbeiter tagsüber weniger und qualitativ längst nicht so gut schlafen. Grund dafür ist die heruntergefahrene Melatonin-Produktion. „Morgens wird dieses für die Reglung unseres Schlaf-Wachzyklus zuständige körpereigene Hormon schlicht und einfach nicht in ausreichendem Maß ausgeschüttet“, berichtet Dr. Hagemann.

Kommen weitere Risikofaktoren (wie etwa erbliche Veranlagung) hinzu, so erhöht sich das Risiko, über kurz oder lang an einer Depression oder einem Burnout zu erkranken.

Was ist eine Depression – und wie kommt es dazu?

Depressionen sind eine Volkskrankheit. „Jeder Fünfte ist schätzungsweise einmal in seinem Leben davon betroffen“, so Dr. Hagemann. Über die entscheidenden Entstehungsursachen sind sich die Forscher bis heute im Detail nicht ganz einig. Sicher ist, dass nicht nur genetische Veranlagung eine Rolle spielt. Auch belastende Erlebnisse, wie etwa der Tod eines geliebten Menschen oder biologische Faktoren (Hirnstoffwechselstörungen) können schwermütig machen. Im Gegensatz zu Verstimmungen und gelegentlicher Traurigkeit, unter denen viele Menschen vor allem in der trüben Jahreszeit leiden, können Depressionen Monate, bisweilen sogar Jahre andauern. Typische Symptome sind eine ausgeprägte Niedergeschlagenheit, Antriebs- und Hoffnungslosigkeit. Hinzu kommen oftmals unspezifische körperliche Beschwerden, wie Kopf- und Rückenschmerzen.

Was hilft bei einer Depression?

Falls möglich, sollten Nachtarbeiter versuchen in den Tagesdienst zu wechseln oder ihre Anzahl an Nachtschichten zumindest reduzieren. In den freien Stunden können Spaziergänge oder Wanderungen regelrecht antidepressiv wirken. „Hilfreich sind zudem ein funktionierendes soziales Netzwerk mit guten Freunden sowie abwechslungsreiche Hobbys“, betont Dr. Hagemann. Und noch ein hilfreicher Experten-Tipp: Tanken Sie Sonnenlicht. Denn „zu 90 Prozent wird stimmungsförderndes Vitamin D durch UV-Strahlung gebildet“, berichtet der Facharzt. „Und auch Sport und ausreichende Entspannung können einem Stimmungstief entgegenwirken bzw. dieses gegebenenfalls lindern.“

Wichtig ist im Falle einer Erkrankung frühe professionelle Hilfe. Denn: Unbehandelt vergehen Depressionen oft nicht von alleine und können so chronisch werden. „Deshalb sollte bei depressiven Verstimmungen, die länger als zwei oder drei Wochen andauern, der Hausarzt aufgesucht werden“, empfiehlt Dr. Hagemann. „Dieser kann beurteilen, ob psychiatrische oder psychotherapeutische Hilfe erforderlich ist.“

Was ist ein Burnout – und wie kommt es dazu?

Nicht nur Schichtdienst bringt viele Menschen an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit. Arbeitsverdichtung, Multitasking, Digitalisierung und weitere Stress-Faktoren unserer Zeit lassen uns buchstäblich einfach nicht mehr zur Ruhe kommen. „Für viele Menschen wird es immer schwieriger zu entspannen und zu regenerieren“, fasst es Dr. Hagemann zusammen. Die Folge: Über kurz oder lang reichen die üblichen Erholungszeiten (wie Wochenenden oder Urlaub) nicht mehr aus. Es droht ein Burnout, ein tiefgreifender körperlicher und emotionaler Erschöpfungszustand. Davon betroffen sind überwiegend Menschen mit einem hohen Anspruch an sich und ihr berufliches Wirken. Viele von ihnen engagieren sich in den sogenannten helfenden Berufen, wo Schichtdienst oft an der Tagesordnung ist.

Was hilft bei einem Burnout?

Dr. Hagemann: „Ganz wichtig ist es, sich die eigenen Belastungsgrenzen bewusst zu machen - und diese auch einzuhalten. Wer versucht, stets alles 150-prozentig zu machen, ist langfristig hochgradig Burnout-gefährdet.“ Darüber hinaus ist es empfehlenswert, im Job auch mal Nein zu sagen und sich nicht ausschließlich über Beruf und Karriere zu definieren. Professionelle Supervisionen, psychologische Hotlines bei Problemen sowie Präventionsprogramme zur Konfliktbewältigung und Entspannungstechniken (wie Yoga oder Autogenes Training) können einem „Ausbrennen“ entgegenwirken. „Ein Burnout ist heilbar“, betont Dr. Hagemann, „doch Rückfälle sind nicht ausgeschlossen.“